Die Folgen einer mut- und ideenlosen Personalpolitik

Individuelle Vereinbarungen mit den Bezirken zum Personalabbau

22. Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses
Große Anfrage der Piratenfraktion
Individuelle Vereinbarungen mit den Bezirken zum Personalabbau

[Aus dem Wortprotokoll]

 
Dr. Manuela Schmidt (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Frau Thamm! Ich würde gerne mit Ihnen etwas spielen. Stellen Sie sich mal vor, ich bin Herr Lanz und ich mache mit Ihnen jetzt eine Außenwette. Ich wette mit Ihnen, dass Sie es nicht schaffen, mindestens fünf Bürgerinnen und Bürger in Treptow-Köpenick von dem zu überzeugen, was Sie gerade erzählt haben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN –
 Oliver Friederici (CDU): Ha, ha!]

Denn ich bin der Piratenfraktion sehr dankbar, dass sie das Thema heute erneut aufgreift, und ich empfinde es nicht als Zeitverschwendung – im Gegenteil. Dass sich Frau West darüber freut, freut mich; denn Anfang November in der Plenarsitzung haben wir das Thema aufgegriffen. Es gab einen entsprechenden Antrag meiner Fraktion, und Sie hatten es gar nicht eilig genug, den Antrag schnell abzulehnen, damit Sie sich – um Gottes willen! – im Hauptausschuss nicht schon wieder mit diesem Thema beschäftigen müssen.

Und doch lassen Ihre Ausführungen zumindest darauf schließen, dass Sie unseren Argumenten zugehört haben. Und nicht nur das! Sie haben nicht nur zugehört, Sie wollen sich jetzt diesem wichtigen Thema der Personalentwicklung widmen, weil – ganz überraschend – in den nächsten Jahren 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den öffentlichen Dienst aus Altersgründen verlassen. Bis Ende 2018 sind es sogar 35.000. Des Weiteren scheiden 50 Prozent der Führungskräfte aus.

Doch schade, verehrte Kollegen der Piratenfraktion, an diesen tatsächlichen Problemlagen geht Ihre Große Anfrage vorbei!

[Beifall von Dr. Clara West (SPD)]

Wir haben bisher fünf der zehn abzuschließenden Vereinbarungen, von denen Herr Nußbaum sprach, zur Kenntnis genommen – fünf! Die anderen sind auf dem Weg, aber wir haben sie noch nicht zur Kenntnis genommen. Die zentrale Aussage der Bezirke ist: Wir wissen noch gar nicht, wo wir den Abbau der Vollzeitäquivalente – Herr Brunner, Sie haben recht, es geht hier um Menschen! – vornehmen werden. Wir wissen nur, dass wir in den kommenden Jahren bis zu 50 Prozent der altersbedingt Ausscheidenden nicht ersetzen können. Wie wir das lösen wollen, entscheiden wir später.

 
Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kohlmeier?

 
Dr. Manuela Schmidt (LINKE):

Nein, später!

[Oliver Friederici (CDU): Das zeugt von Unsicherheit!]

Es wäre leicht, jetzt die Bezirke zu kritisieren ob solcher mut- und ideenlosen Vereinbarungen. Tatsächlich sind diese Vereinbarungen aber nur Folge einer mut- und ideenlosen Personalpolitik der Koalition und des Senats. Die Koalitionsvereinbarung hat, sowohl für die Hauptverwaltung als auch für die Bezirksverwaltungen, eben nur gegriffene Zielzahlen hervorgebracht und die Festlegung, dass die bezirksindividuellen Zielzahlen auf der Basis Beschäftige je 1 000 Einwohner berechnet werden sollen. Damit war der Unsinn schon vorprogrammiert, denn keine aufgabenkritische Betrachtung oder Prozessanalyse, kein Bezug zur Kosten- und Leistungsrechnung, kein konzeptioneller Ansatz zur Personalentwicklung im Land Berlin! Und – wir alle wissen es – der Fisch fängt immer noch am Kopf an zu stinken. Die Rechenspiele der Bezirke, die jetzt die Personalentwicklung ersetzen sollen, können dann auch nicht besser sein als das, was vorgegeben ist.

[Beifall bei der LINKEN –
 Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wenn das Land kein Leitbild für die Personalentwicklung im öffentlichen Dienst hat außer Abbau um jeden Preis und wenn den Bezirken der Geldhahn zugedreht wird – Frau Remlinger hat eine ganze Reihe von Beispielen genannt –, wie sollen die Bezirke dann ihre Personalentwicklung strukturieren? Wenn der Senat intransparent und willkürlich Zahlen hin- und herschiebt wie bei der sogenannten Bereinigung um Stückzahlunterschiede, nur um parteipolitische Bezirksinteressen auszubalancieren, ist den Bezirken jede Chance genommen, transparent und ausgewogen zu argumentieren.

[Beifall bei der LINKEN –
 Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wenn der Senat sich darauf beschränkt, Personalentwicklung als Summe aller behördenspezifischen Insellösungen zu betrachten – warum sollten die Bezirke dann ein Gesamtkonzept vorlegen? Und vor allem: Wie sollten sie es tun?

Man könnte das an jeder einzelnen Facette von Personalentwicklung durchdeklinieren, ich hebe mir das aber heute auf, denn ich denke, dass der heutige Anlass, das Thema Personalabbau, nicht dem Thema angemessen ist und es angesichts der altersbedingten Fluktuation in den nächsten Jahren absurd ist, weiter über Personalabbau zu reden.

Ein zukunftsfähiger öffentlicher Dienst im Land Berlin braucht Fachkräftesicherung und eine breite Einstellungsoffensive, wenn Sie so wollen, eine Einstellungsautobahn. Aber Sie reden lieber über die Autobahn A 100, die nun wirklich kein Mensch braucht.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Den Bezirken jedenfalls ist hier kaum ein Vorwurf zu machen, erst recht nicht jenen fünf Bezirken, die in den kommenden vier Jahren mehr als 175 Vollzeitäquivalente, also Menschen, abbauen sollen – das sind nämlich zwischen 10 und 20 Prozent ihrer jeweiligen Bezirksverwaltung – und dafür weder bis zum 31. Oktober, wie verlangt, noch bis zum 30. November ein Konzept vorgelegt haben. Die Verhandlungen laufen, es wird einen Feinschliff geben, ich habe es wohl vernommen, aber das sind dann nur die abgeschlossenen Vereinbarungen, das ist noch nicht das abgebaute Personal.

Hinzukommt, dass Sie erst letzte Woche bis 2030 ein Bevölkerungswachstum um 250.000 Menschen in diesem Land Berlin prognostiziert haben. Das ist ein ganzer Bezirk mehr. Was ist Ihre Reaktion darauf? – Sie bauen erst mal eine ganze Bezirksverwaltung ab.

Immerhin – wir haben festgestellt, dass unsere diesbezüglichen Forderungen, die wir schon Mitte des Jahres formuliert hatten, jetzt langsam, aber sicher in den Regierungsfraktionen Nachhall finden, auch wenn es zu kurz gegriffen ist, das auf eine Ausbildungsoffensive zu reduzieren. Den Fachkräftebedarf würde ich auch gern mit Ihnen diskutieren. Also ist an der Stelle nicht Häme für die Bezirke angebracht, auch für den Bezirk nicht, der noch keine Vereinbarung – noch nicht mal eine Idee für eine Vereinbarung – vorgelegt hat, sondern ein neuer, ein umfassender und nachhaltiger Ansatz für Personalentwicklung in Berlin. Und, verehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU, diese Aufgabe würde ich Ihnen gern als Geschenk unter den Weihnachtsbaum legen. Und für das neue Jahr wünsche ich Ihnen, dass Sie den Herbst 2013 für tatsächliche Entscheidungen nutzen. – Schöne Bescherung!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

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