Einzelplan 29 - Allgemeine Finanzangelegenheiten -

Plenarprotokoll 17/15 - Wer eine solche Linie vorgibt, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass seine Linie und das wirkliche Leben nur flüchtige Bekannte sind.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1 b:

Finanzpolitische Aussprache zu den Einzelplänen 15 und 28 - Finanzen/Zentrale Personalangelegenheiten -

lfd. Nr. 1 l:

Einzelplan 29 - Allgemeine Finanzangelegenheiten -

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank! - Als Nächstes für die Fraktion Die Linke Frau Dr. Schmidt! - Bitte schön!

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

- Herr Dr. Albers! Jetzt hat Frau Dr. Schmidt das Wort. - Bitte schön!

Dr. Manuela Schmidt (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns endlich über das Haushaltsgesetz sprechen und nicht mehr über die Koalitionsvereinbarung mit den vielen Versprechungen!

[Beifall bei der LINKEN -
Zuruf von den PIRATEN: Versprechern!]

Anstrengende Wochen intensiver Haushaltsberatungen liegen hinter uns, Anlass für Resümee, aber auch Anlass, Danke zu sagen. Da schließe ich mich gern dem an, was heute schon vielfach gesagt wurde. Namen sind genannt worden. Ich denke, das Danke ist redlich verdient.

[Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

Doch vor allem haben wir heute eine große Verantwortung. Schließlich wird der Haushalt, der heute beschlossen werden soll, die Politik des Landes für die nächsten zwei Jahre bestimmen.

Mit welchen Absichten und Zielen sind Koalition und Senat in diese Beratungen gegangen? - Erstens: Das Land Berlin wird ab dem Jahr 2016 keine zusätzlichen Kredite mehr aufnehmen und die Schuldenbremse einhalten. Zweitens: Um die Neuverschuldung schnellstmöglich zurückzuführen, wird der durchschnittliche Ausgabenzuwachs von jährlich 0,3 Prozent nicht überschritten. Die Haushaltsberatungen der vergangenen Wochen haben unter diesen Vorgaben gelebt und vor allem gelitten. Ob das Land Berlin schon 2016 keine zusätzlichen Kredite mehr aufnehmen wird, kann heute noch niemand seriös sagen, aber ob das jährliche Ausgabevolumen nur um 0,3 Prozent wächst, das haben wir für 2012 und für 2013 schon kräftig widerlegt.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN -
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wer eine solche Linie vorgibt, wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass seine Linie und das wirkliche Leben nur flüchtige Bekannte sind. Doch weder Senat noch die Koalition haben sich davon beirren lassen und das ganze haushälterische Instrumentarium eingesetzt, um die Linie, koste es, was es wolle, auch zu halten.

Zum einen wurden die Ausgaben bis über die Grenze der Rechtmäßigkeit heruntergerechnet und -getrickst. Sichere Mehreinnahmen des Bundes für Grundsicherung wurden als pauschale Minderausgaben in den Haushalt geschrieben. Die Kosten der Unterkunft finden sich gleich gar nicht wieder. Die erhöhten Zuschüsse für das Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm sollen von der BIM bewirtschaftet werden. Dafür kann man die Bauinvestitionen gleich mal pauschal kürzen. Und ob die Steuerungsreserve für Transferausgaben in den Bezirken tatsächlich sachgerecht ausgestattet ist, das wird das Überraschungs­ei zu Ostern sein.

Die wirklich wichtigen Entscheidungen für diese Stadt werden nicht angegangen. Die Koalition verbietet es sich weitgehend, Schwerpunkte zu setzen, um die Linie zu halten. Wenn es denn unbedingt sein muss, ein inhaltliches Zeichen zu setzen, geschieht das ausschließlich symbolisch und ohne Mittel.

[Beifall bei der LINKEN -
Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

So werden 250 Stellen für die Polizei in den Haushalt geschrieben, ohne dass es 250 zusätzliche Polizisten geben wird, denn die Stellen können weder besetzt werden noch sind sie finanziert.

[Beifall bei der LINKEN -
Christian Goiny (CDU): Sie haben es
immer noch nicht verstanden!]

Das selbst verschuldete Dilemma der Koalition spiegelt sich auch bei den Bezirken wider. Die selbst ernannten Bezirksfreunde von SPD und CDU haben jetzt die versprochenen 50 Millionen Euro mehr für die Bezirke beschlossen. Die parteiübergreifende Forderung aller Bezirksbürgermeister und -meisterinnen aus dem Sommer 2011 nach einer Erhöhung der Bezirkszuweisungen um 111 Millionen Euro wurde ohne Argumente von der Koalition vom Tisch gewischt. Nach deren Auffassung decken die höheren Zuweisungen bei den Transferleistungen ausreichend den Bedarf der Bezirke. Da wurde die 100-prozentige Basiskorrektur für die steigenden Fallzahlen in der Kitabetreuung für 2013 gleich einmal ganz abgelehnt.

[Torsten Schneider (SPD):Wo steht das denn?]

Bleibt die Forderung der Linksfraktion nach Gleichbehandlung von Bezirken und Hauptverwaltung und die Umsetzung der Versprechen aus der Koalitionsvereinbarung, also ein Mehr für das Personal in den Bezirken von 70 Millionen Euro in den nächsten beiden Jahren. Doch selbst dieses Mindestmaß an Gleichberechtigung haben SPD und CDU abgelehnt. Stattdessen legen Sie uns jetzt ein Personalkonzept für die Bezirke vor, das sich überwiegend auf die Hochrechnung des Personals anhand der Einwohnerzahl reduziert. Nebenbei werden die Bezirke dabei angehalten zu privatisieren - selbst wenn es unwirtschaftlich ist. Da fragen wir uns doch, ob dies die neue Linie nach dem angeblichen Linksruck der SPD ist. Herr Saleh! Herr Schneider! Geht es darum? Privatisierung als Markenzeichen der neuen linken Volkspartei? Die Linksfraktion jedenfalls lehnt Privatisierungen öffentlicher Aufgaben ab.

[Beifall bei der LINKEN -
Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)
und Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Jede weitere Kürzung im Personalbereich zulasten bürgernaher Dienstleistungen ist eine Entscheidung gegen die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.

Mehr Geld für die Schul- und Sportanlagen in den Bezirken - so weit, so gut, aber warum wird den Bezirken nun die Kompetenz abgesprochen, diese Mittel ebenfalls zu bewirtschaften? Warum soll die BIM hierfür besser geeignet sein? Ist das der Einstieg aus dem Ausstieg der bezirklichen Schulträgerschaft? Ein verheerendes Signal in die Stadt ist die Ablehnung der SPD und vor allem der CDU, diese nun erhöhten Mittel auch für den barrierefreien Ausbau von Schulen einzusetzen. Verehrte Damen und Herren von der Koalition! Inklusion ist nun einmal nicht kostenneutral zu haben.

[Beifall bei der LINKEN -
Beifall von Andreas Baum (PIRATEN) und
Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Eine wahre Posse war das Verhalten der Koalition bei den Entscheidungen zur Hochschule für Schauspielkunst. Ausgerechnet hier wollte die SPD - und will sie immer noch - ein Exempel für stringent einzuhaltende Kostenobergrenzen statuieren. Vor dem Hintergrund der unzähligen Blankoschecks für die ICC-Sanierung, IGA, IBA und all dem anderen, was heute schon genannt worden ist, habe ich mich hier fremdgeschämt über so viel geballte Unzuverlässigkeit.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN -
Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Zur Einnahmeseite: Das Diktat der Ausgabelinie führt dazu, dass die Einnahmen wenig interessieren, weil sie ja auch keinen Beitrag dazu leisten, die Ausgabelinie einzuhalten. So werden die Einnahmen noch nicht einmal vollständig in den Haushalt geschrieben, sondern gebunkert. Die Nummer mit der Grundsicherung ist heute bereits des Öfteren genannt worden. Hier musste sich die Koalition korrigieren. Sie tat es aber nur halbherzig. Die Mehreinnahmen bei den Kosten der Unterkunft - immerhin 185 Millionen Euro im Jahr - sind noch immer nicht veranschlagt. Man ahnt, weshalb. Der Senat baut sich ein Polster von rund 100 Millionen Euro pro Jahr in den Haushalt, das wahlweise für die Befriedigung plötzlich und unerwartet vom Himmel fallender oder in den Himmel steigender finanzieller Bedürfnisse oder zum Abfeiern der Jahresabschlüsse verwendet werden kann.

[Unruhe]

Aber ein Polster scheint Ihnen nicht genug. Die Koalition hat sich standhaft geweigert, die Erstattungen der EU im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und des Europäischen Sozialfonds haushaltsmäßig korrekt darzustellen. Ein weiterer Verstoß gegen Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit!

[Unruhe]

Am Ende sind es auch hier nicht etatisierte Mehreinnahmen von noch einmal rund 100 Millionen Euro im Jahr. Was ist das anderes als einen Bunker anlegen? Klar, diese Mehreinnahmen helfen nicht bei der Einhaltung der Ausgabelinie.

[Zurufe von der LINKEN]

Sie könnten die Abgeordneten ja verführen. Man hätte sie natürlich auch verwenden können, um die tatsächlichen Einnahmeprobleme auszugleichen, beispielsweise aufgrund der Auswirkungen der Verfügung des Bundeskartellamts bezüglich der Wasserpreise.

[Unruhe -
Zurufe von der LINKEN]

Fazit: Die Vorgaben waren Gift für eine ordentliche Haushaltsdebatte. Das gilt nicht nur für die Inhalte, sondern auch für den Ton. - Es ist übrigens im Moment gerade wieder sehr laut, Herr Präsident. Ich spreche hier gegen eine Wand. - Auch wenn es vielleicht nicht interessiert, aber es spricht für die Atmosphäre während der Haushaltsberatungen. Diese Atmosphäre, aber auch die Vorgaben waren Gift für die ordentliche Haushaltsdebatte.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das gilt nicht nur für die Inhalte, sondern auch und vor allem für den Ton: Gutsherrenmanier und Basta-Gestik einer binnenfixierten Koalition, der Machtarithmetik und Koalitionsdisziplinierung über die Interessen der Stadt gehen.

Was ist jetzt eigentlich von der Ausgabelinie übrig geblieben? - Nichts. Das jedoch scheint noch nicht einmal dem Regierenden Bürgermeister übermittelt worden zu sein. In der Summe werden die Ausgaben 2012 im Vergleich zu 2011 und 2013 im Vergleich zu 2012 um jeweils mehr als 1 Prozent steigen. Der tatsächliche Aufwuchs wird dreimal so hoch sein wie die Linie. Dazu waren Sie bei Strafe der Verfassungswidrigkeit des Haushalts gezwungen. Das Ergebnis lautet demnach: Ihre Linie war nicht zu halten. Sämtliche negativen Nebenwirkungen wurden trotzdem mitgenommen. Haushaltspolitisch sind Senat und Koalition ihre Prämissen abhanden gekommen. Das ist schlecht für Sie. An den Folgen wird jedoch vor allem die Stadt noch lange zu schlucken haben.

Auch das will ich noch einmal deutlich sagen - Herr Goiny! Sie haben es gerade noch einmal angesprochen: Mit dem rot-roten Entwurf aus dem Sommer 2011 hat dieses Haushaltsgesetz nicht mehr viel gemeinsam. Nehmen Sie uns nicht für neun Monate schlechte rot-schwarze Regierungspolitik in die Haftung!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank, Frau Dr. Schmidt! -