Gedenken auf dem Parkfriedhof

Am 21. Januar fand die Gedenkveranstaltung anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar am Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Zwangsarbeit 1939–1945 auf dem Parkfriedhof Marzahn statt. Als Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses und Wahlkreisabgeordnete war ich gebeten worden eine Rede zu halten, die im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben wird:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit einem Ausschnitt des Roma-Liedes „Ederlezi“ wollte ich sie auf das heutige Gedenken einstimmen. Dieses Lied wurde auch verwendet als Filmmusik in Emir Kusturicas Film „Zeit der Zigeuner“, ein Film voller Trauer und Hoffnung. Insbesondere von der Hoffnung will ich mich heute in meinen Worten leiten lassen.

Wir gedenken heute und hier erneut den vielen Menschen, Frauen, Männern und Kindern, die hier Zwangsarbeit leisten mussten, den vielen, die dabei zu Tode gekommen sind, denen, die von hier aus ihren meist tödlichen Weg in die Deportationslager des Nationalsozialismus gegangen sind.

Es ist wahrlich kein einfaches Thema, ist es doch mit so viel geschichtlicher Traurigkeit und Inhumanität verknüpft.

Ungeachtet der Tatsache, dass hier Menschen aus vielen Ländern der Welt hier ihr Leben verloren haben, möchte ich eine Gruppe besonders herausheben, die Gruppe der Sinti und Roma. Auch, weil wir hier an diesem Ort eine besondere Verantwortung für diese Gruppe haben. Allein in den Jahren 1933 bis 1945 starben mehr als eine halbe Million Sinti und Roma durch übelste Repression und unter schlimmsten Qualen. Dennoch hat es lange gedauert, bis die Bundesrepublik das Schicksal der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus als Völkermord anerkannt hat.

Und es ist und bleibt leider ein Thema, da auch heute noch Sinti und Roma offen diskriminiert werden. Selbst im Abgeordnetenhaus ist deren Diskriminierung angekommen. Gleich zu Beginn des Jahres lädt die Fraktion der AfD zu einer Pressekonferenz ein und nutzt den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz mit seinen schlimmen Folgen für einen Rundumschlag , der von Videoüberwachung, Reformen bei der Staatsanwaltschaft, ethnischem Profiling in der Polizeistatistik über Überwachung von Moscheen bis hin zu einem Aufnahmestopp und rigoroser Abschiebung reicht. Dabei verlangt die AfD, in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik die verschiedenen Tätergruppen sehr viel klarer zu benennen, die Täter nicht-deutscher Herkunft breit auszuweisen.

Doch das reicht ihr nicht. Und hier zitiere ich aus der Berliner Morgenpost: „So sei es hilfreich, wenn Bettelbanden anstatt als Rumänen als Sinti und Roma bezeichnet würden. Dann kenne man den kulturellen Hintergrund und könne leichter dagegen vorgehen.“ Welch eine Ohrfeige für die Opfer jener Zeit!

Gerade deshalb will ich nicht wiederholen, was schon so oft und bei vielen Gelegenheiten gesagt wurde – zur Errichtung des Zwangslagers 1936, zur Deportation der Menschen vieler Völker, der Sinti und Roma, zum langen und qualvollen Leidensweg dieser Menschen.

Vielmehr will ich über Hoffnung reden, über die Hoffnung, die sich für mich damit verbindet, dass es immer wieder und immer besser gelingt, gemeinsam mit jungen Menschen aufzuarbeiten, was in der Zeit des Faschismus geschah.

Ein wichtiges Forum ist hierfür das Jugendforum denk!mal, das gerade vor drei Tagen zum 14. Mal im Abgeordnetenhaus stattgefunden hat.

Nichts ist verloren – wenn Du es erzählst! Das war der Leitspruch des Jugendforum denk!mal, das im letzten Jahr im Abgeordnetenhaus von Berlin stattfand. Mit zahlreichen kreativen Projekten zeigten Schülerinnen und Schüler, wie vielfältig das Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus sein kann. Zugleich machen sich die Jugendlichen stark gegen die heutigen Formen von Rassismus und Diskriminierung und für eine bunte und tolerante Gesellschaft.

Gerade im letzten Jahr rückte im Jugendforum erstmals die Gruppe der Sinti und Roma in den Vordergrund,  eine Opfergruppe des Faschismus, die bisher eher wenig Beachtung erfahren hatte. Auch sie passten nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten. 2016 haben sich die Schülerinnen und Schüler besonders mit deren Geschichte auseinandergesetzt.

Herzlichen Dank an dieser Stelle an Frau Petra Rosenberg, die dieses Jugendforum denk!mal 2016 mit ihrer Familiengeschichte begleitet hat und die auch mit unserem Gedenken hier an diesem Ort eng verbunden ist.

Es hat mich sehr berührt, als drei Schülerinnen und Schüler in einer szenischen Lesung die Lebensgeschichten verfolgter Sinti und Roma im Faschismus vorgetragen haben. Im Fokus standen die Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Elisabeth Guttenberger, Ewald Hanstein und Otto Rosenberg.

Nicht weniger beeindruckt hat mich das Projekt der Jugendgruppe des Roma-Informations-Centrums. Nach dem Besuch des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas wurde den Jugendlichen bewusst, dass es begleitend zum Denkmal keine jugendgerechten Informationen zur Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma während der Zeit des Faschismus gibt. Deshalb konzipierten und organisierten zwölf Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren die Führung „Gestern mit den Augen von heute sehen“. Diese Führung wird noch immer regelmäßig von den Jugendlichen auf Anfrage durchgeführt.

Ein drittes Projekt will ich ihnen kurz skizzieren, insbesondere weil es sich neben der historischen Auseinandersetzung  mit den aktuellen Formen des Antiziganismus, der aktuellen Diskriminierung von Sinti und Roma beschäftigt.

Mit beeindruckenden Zeichnungen zu den leidvollen Erfahrungen der Sinti und Roma hat eine Jugendgruppe des Vereins Amaro Foro eine Ausstellung gestaltet zur Dokumentation des Antiziganismus in Berlin, um auf diese Weise auch weitere Menschen an ihren Projektergebnissen teilhaben zu lassen.

Es sind genau solche Erfahrungen, die mir Hoffnung machen. Hoffnung, dass das tausendfache Leid, der Völkermord an den Sinti und Roma in der Zeit des Faschismus nicht vergessen werden. Und es ist die Hoffnung und zugleich die Erwartung, dass wir auch heute gemeinsam für ein buntes, tolerantes und vielfältiges Berlin einstehen, wo Rassismus und Diskriminierung keinen Platz haben. Vielen Dank!