Plenarrede zum Gedenken am 17. Juni
Aus dem Plenarprotokoll des Abgeordnetenhauses
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Andreas Geisel!
Als ehemaliges SED-Mitglied und Teil einer demokratischen Fraktion ‒ das eint uns beide ‒ will ich nahtlos an deine Worte anschließen.
Keiner von uns hat gegen eine Aufwertung des Ortes oder gegen eine aktive Gedenkpolitik gesprochen. Da sind wir uns in den demokratischen Fraktionen sehr einig. Doch dazu braucht es weder diesen Antrag noch diese Fraktion. Die demokratischen Fraktionen der Landesparlamente und des Deutschen Bundestages werden sich Reden zu der Art von Anträgen, wie uns heute wieder einer vorliegt, wahrscheinlich auf Wiedervorlage packen müssen, denn die Versuche der AfD, die Geschichte der Freiheits- und Demokratiebewegungen ‒ wie auch den 17. Juni ‒ zu missbrauchen, werden nicht abreißen. Im Gegenteil: Es ist ja vermeintlich ein einfaches Spiel, weil man sich mit Copy and Paste ja nicht einmal viel Arbeit machen muss. Wäre es nicht demokratiegefährdend und somit gefährlich, müsste man sagen: Langweilig.
Es ist nicht neu, dass Rechtspopulisten, die in der eigenen Geschichte auf nichts verweisen können, was Demokratiegeschichte im guten Sinne ausmacht, stehlen und kapern müssen. Dabei werden die immer gleichen Narrative, Topoi und Mythen bemüht, um zentrale Begriffe wie Volk, Nation oder Kultur von rechts aufzuladen und für einen andauernden Kulturkampf in Stellung zu bringen ‒ entgegen eines pluralen, inklusiven Geschichtsverständnisses.
In einem in der Süddeutschen Zeitung im Juni 2023 veröffentlichten Erinnerungstext ‒ und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis ‒ wehrte sich Paul Grunwald, der 1953 als 13-Jähriger die Willkür und Gewalt gegen den Volksaufstand in der damaligen DDR am eigenen Leib erlebte, gegen diesen Missbrauch. Er verwahrte sich gegen die stetigen Versuche der AfD, sich das Gedenken an diesen Volksaufstand einzuverleiben. Es sei beschämend, schrieb er, dass sich die AfD mit dem Mut der Menschen von 1953 etwas auf die Flagge schreibe, woran sie null Anteil habe.
Der Historiker Dennis Riffel, der sich ausführlich mit dem Missbrauch von Demokratiegeschichte durch Rechtspopulisten beschäftigte, schrieb:
„Rechtspopulist*innen sind auf Kaperungen und Vereinnahmungen von Begriffen, Symbolen, Personen, Orten und Traditionen angewiesen, weil sie selbst keine Traditionslinien haben, aus denen sie politisch Kapital schlagen könnten.“
Ich empfehle Ihnen sehr das Buch "Vereinnahmung von Demokratiegeschichte durch Rechtspopulismus“, da können Sie noch was lernen.
Wir werden es noch oft mit Anträgen zu tun bekommen, die der AfD einzig und allein dazu dienen, sich einer Geschichte zu bemächtigen, an der sie nicht nur keinen Anteil hat, sondern die das genaue Gegenteil von dem schrieb, was diese rechte, demokratiefeindliche Partei vertritt und erreichen will.
Lassen Sie gerade in Anbetracht des bevorstehenden Gedenktages nicht zu, dass ihr das gelingt. ‒ Vielen Dank!
Plenarrede zum Gedenken am Haus der Statistik
Aus dem Plenarprotokoll des Abgeordnetenhauses
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Themenwechsel: Ich möchte zu Beginn mit zwei Nachrichten starten. Erstens: In den Jahren 2019 bis Ende 2024 gab es rund 1000 Fälle von rechtsextrem motivierten Übergriffen auf Erinnerungsstätten. Und zweitens: Laut einer Studie der Jewish Claims Conference wissen rund 40 Prozent der befragten deutschen Jugendlichen im Alter von 18 bis 29 Jahren nicht, dass in der Zeit des Nationalsozialismus 6 Millionen jüdische Menschen ermordet wurden. Erinnerung muss wachgehalten werden. Dafür braucht es Orte und Vielfalt der Formen. Nur noch wenige Menschen können von den Grauen der Vernichtungslager der Nationalsozialisten erzählen. Die Toten, die Ermordeten bleiben nur dann im kollektiven Gedächtnis, wenn sichtbar und erfahrbar gemacht wird, dass es sie gegeben hat.
In Berlin gibt es 11 068 Stolpersteine – ein sichtbares Zeichen dafür, dass wir diese Menschen nicht vergessen; und auch nicht, wer die Täter waren. In Berlin wurde die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden geplant und ins Werk gesetzt. Das überall dort, wo einst Orte des Schreckens waren, sichtbar zu machen und das Wissen darum wachzuhalten, ist unsere gemeinsame Verantwortung. Die Enquete-Kommission hat sich das ja heute auch auf die Fahnen geschrieben.
In unmittelbarer Nähe zum Alexanderplatz entsteht mit dem Modellprojekt Haus der Statistik ein Areal, das in vielerlei Hinsicht beispielhaft und einzigartig für diese Stadt ist. Auf dem heutigen Gelände des Hauses stand einst das Jüdische Altenheim Gerlachstraße. Es wurde in den Jahren 1942 bis 1944 von den Nationalsozialisten als Sammelstelle für die Deportation von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager missbraucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die zerbombten Reste der Häuser mit Bulldozern weggeräumt, dann überformt und überbaut.
Das Jüdische Altenheim geriet in Vergessenheit. Nur, wer tief in den Dokumenten der Vergangenheit grub, konnte nachlesen, was mit diesem Haus, das bis 1942 Heimstätte und Schutzraum für alte und behinderte Jüdinnen und Juden sein konnte, geschehen war und wie monströs und tödlich diese Umwidmung für die mehr als 2000 Menschen gewesen ist, die von dort aus in den Tod geschickt wurden.
Nun ist auf dem ganzen Areal Werden angesagt, es wird geplant, gebaut und in Zukunft gedacht. Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit allen Beteiligten dieses großen Projektes ein dauerhaftes, würdiges und in die Zukunft weisendes Gedenken an den verschwundenen Ort zu installieren.
Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen und gut. 2020 begann auf Initiative der US-amerikanischen jüdischen Künstlerin Stein Wexler und gemeinsam mit den Anwohnerinnen ein kollektiver Prozess „AndersErinnern“. Unterstützt vom Mitte Museum, der Interessensvertretung der Anwohnenden, dem Nachbarschaftsrat, Vertreterinnen der BVV Mitte, dem Kulturamt des Bezirkes und einer genossenschaftlichen Eigentümerin in unmittelbarer Nachbarschaft wurde zuerst ein temporäres, aber nicht flüchtiges Gedenken installiert. Menschen aus der Nachbarschaft lasen für eine Toninstallation die Namen all derjenigen, die im Jüdischen Altenheim gesammelt, erfasst und in die Vernichtungslager deportiert worden sind. Die jüngste Vorleserin war acht, die älteste über 80 Jahre alt.
Dabei waren auch Nachfahren von unmittelbar Betroffenen; die hatten Mühe, die Namen zu lesen, ohne dass sie geschluchzt haben. Toninstallation und Gedenktafeln im öffentlichen Raum fielen mehrfach Vandalismus anheim, mussten immer wieder erneuert werden. Zweimal gestaltete die Künstlerin gemeinsam mit Unterstützerinnen eine Ausstellung auf dem Grundriss des einstigen Altenheims im nun öffentlichen Straßenland. Für wenige Stunden stand die erfahrbare Erinnerung an den einstigen Ort, wurde der Tisch gedeckt, so wie einst im Speisesaal des Altenheims, konnte man Platz nehmen und miteinander reden. Nachfahrinnen einstiger Bewohnerinnen des Altenheims erzählten die Geschichte ihrer Vorfahren. Das Unsichtbargewordene wurde sichtbar.
Es ist unsere politische Verantwortung, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und jede mögliche Unterstützung dafür zu leisten, dass im Zuge der Bauarbeiten ein dauerhaftes und würdiges Erinnern im öffentlichen Raum möglich gemacht und auch verstetigt wird. Diesen Prozess zeitnah zu initiieren, sodass Planungs- und Gestaltungsspielräume genutzt werden können, bevor sich das Zeitfenster für ein solches Erinnerungsprojekt wieder schließt, ist das Anliegen unseres Antrags heute.
Senat, Bezirk Mitte, WBM, BIM, Vertreterinnen und Vertreter des Entwicklungsteams Haus der Statistik, Koop5, Mitte Museum, Nachbarschaftsrat und Anrainergenossenschaften – wir sind sicher, dass alle Beteiligten engagiert mitarbeiten werden, denn sie alle haben bereits bekundet, dass es an ihrer Unterstützung nicht scheitern soll. Dies gilt es nun in gelebte und sichtbare Realität zu bringen, gemeinsam und mit Unterstützung der Landespolitik, denn wir brauchen diese Orte der Erinnerung dringender denn je. Das haben wir heute leider wiederholt erfahren müssen.
Plenarrade zur Kulturpolitik der AfD
Aus dem Plenarprotokoll des Abgeordnetenhauses
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit einem Zitat:
„Wir möchten die Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz zu einem internationalen Ort des Theaters machen. Das ist unser Widerstand gegen eine Politik der Renationalisierung, ein lustvoller Widerstand.“
Mit diesem Ausblick, der zugleich ein starkes Statement ist, übernimmt der Theatermacher Matthias Lilienthal ab dem kommenden Jahr die Intendanz der Berliner Volksbühne. Und wir wünschen ihm und dem Theater, es möge trotz massiver Kürzungen gelingen.
Denn Widerstand gegen eine Politik der Renationalisierung ist in diesen Zeiten dringend geboten. Seit jeher sind die Theater nicht nur dieser Stadt Orte, an denen dieser Widerstand lustvoll und erkenntnisbringend auf die Bühne gebracht wird.
Folgten wir dem Antrag, den wir heute leider gezwungen sind, im Parlament zu debattieren, wäre Matthias Lilienthal innerhalb kürzester Zeit weg vom Fenster. Ein internationaler Ort des Theaters gegen eine Politik der Renationalisierung statt werksgetreuer Inszenierungen klassischer Theaterstücke? – Das passte einer Partei, deren Ehrenvorsitzender Alexander Gauland im Kulturkampf eine vergangenheitspolitische Wende forderte, ganz und gar nicht. Und da wären ihr, wie der Antrag beweist, viele Mittel recht.
Ihr ist für diesen Antrag insofern zu danken, als dass er klarstellt, was uns erwartete, sollte Kulturpolitik in diesem Land jemals von denen bestimmt oder mitbestimmt werden, die mit ihrem 2023 im Deutschen Bundestag gestellten Antrag „Deutsche Identität verteidigen – Kulturpolitik grundsätzlich neu ausrichten“ einen Feldzug gegen fast alles ausriefen, was unsere vielfältige Kulturlandschaft ausmacht.
In unserem konkreten Fall ist das Regietheater der Feind und die werksgetreue Inszenierung die Heilsbringerin. Der Vorschlag passt zum Kulturbegriff einer Partei, der sich auf die unheilige Dreifaltigkeit Heimat, deutsche Identität, Tradition zusammenstreichen lässt. Der Rechtsextremismusexperte David Begrich hat richtigerweise festgestellt, das sei zu Ende gedacht eine Reise ins kulturelle Absurdistan.
Aber lassen wir das und reden stattdessen darüber, was Theater kann und warum es all unserer auch finanziellen Unterstützung bedarf, damit es in der Lage ist zu zeigen, was es kann. Es kann sich – und dies sind oft Sternstunden – weit vom Text entfernen, um in die Gegenwart zu holen und uns mögliche Zukünfte zu beschreiben. Das Aufregende, das Wertvolle einer Inszenierung besteht nicht in dem Phantom Werktreue, also einer Art stetigem Versuch, uns in die Vergangenheit zu katapultieren, um eine Gegenwart zu suggerieren, die es nicht gibt; stattdessen doch immer in der konkreten Reaktion auf das, was Gegenwart ist und Zukunft sein könnte.
Was uns hier als Antrag aufgedrückt wird, ist die Kampfansage gegen das politische Regietheater, das im besten Fall anspielt und anbrüllt gegen eine Politik der Renationalisierung, das uns die ganze Welt in die Häuser holt. Die von der AfD vorgeschlagene Methode, dieses Theater kaputt zu machen, ist denkbar einfach: Entzieht denen das Geld! Und Zensur wäre auch nicht schlecht.
Aber mit uns nicht!
Der Antrag ist sogar für noch etwas gut: Er könnte die Koalition vielleicht dazu bringen, ihre Sparorgien im Bereich Kultur und kulturelle Bildung zu überdenken.
Die Volksbühne, in der Matthias Lilienthal nun internationales Theater gegen eine Politik der Renationalisierung machen will, wird mit den Einsparvorgaben in Höhe von 2 Millionen Euro allein in diesem Jahr Mühe haben, eine solche Kampfansage gegen die rechte, kulturelle und gesellschaftliche Vorstellung von ethnischer Homogenität und deutsche Leitkultur künstlerisch umzusetzen. Tun wir also alles dafür, dass Kunstfreiheit auch finanziell abgedeckt ist in diesem Land Berlin!
Wie zeitnah wird der Senat die Gespräche mit den Anwohnerinnen und Anwohnern an den Orten führen, wo in den nächsten Wochen die Containersiedlungen entstehen werden? Weiterlesen
Nochmals befördert durch die nunmehr grundgesetzlich geregelte Schuldenbremse ab 2019 hat sich die Bundesregierung vorgenommen, bis Ende dieses Jahres einen Vorschlag zur Reform des Länderfinanzausgleichs den Regierungschefs der Länder vorzulegen, und zwar am 11. Dezember. Wer wird denn an diesem Tag das Land Berlin vertreten? Weiterlesen
Ein Stück weit scheint ja Amnesie hier von den Damen und Herren der Koalition kultiviert zu werden, aber lassen Sie mich trotzdem an bestimmte Dinge erinnern! Zumindest sind Sie schon mal aufgewacht, und das ist sehr zu begrüßen. Weiterlesen
Es reicht nicht, die öffentliche Infrastruktur zu erhalten, es bedarf dringend Investitionen in diese Stadt und es bedarf dringend der dafür notwendigen Entscheidungen. Weiterlesen
Gibt man die Überschüsse ausschließlich in die Schuldentilgung oder verbessert man durch strukturelle Investitionen langfristig die Situation der Stadt? Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden, und zwar, ohne den Haushalt mit einer Neuverschuldung zu belasten. Weiterlesen
Wir gehen von einem Jahresüberschuss von 700 Millionen Euro aus, und der soll nicht wie im letzten Jahr im Schuldenberg verschwinden, auch nicht im Milliardengrab BER. Deshalb wollen wir einen Nachtragshaushalt! Wir wollen, dass die Jahresüberschüsse vor allem investiv zur Verbesserung der Infrastruktur genutzt werden. Weiterlesen
Haushalt ist für mich keine Frage des Glaubens, sondern der Fakten. Dieser Senat hat keinen Plan, was die Stadt braucht. Weiterlesen
Zur Aktuellen Stunde über die Auswirkungen des Zensus auf die Finanzplanung Berlins Weiterlesen
Jahresbericht des Rechnungshofs von Berlin Weiterlesen
Mündlichen Anfrage: Welche praktischen Auswirkungen haben die von der Koalition im Hauptausschuss beschlossenen Maßgaben, nach denen kein Vorrang des Verkaufs bestehen und eine zusätzliche Kategorie bei der Clusterung der Grundstücke gebildet werden soll, auf die Umsetzung des „Konzepts zur transparenten Liegenschaftspolitik“? Weiterlesen